Fußgängersicherheit
Ein über 65-Jähriger Fußgänger wird in der dunkleren Jahreszeit nach einsetzender Dämmerung von einem Pkw erfasst und schwer verletzt. Dieses Szenario enthält alle so ziemlich Risikofaktoren, die für Unfälle mit Fußgängern typisch sind. Laut der Destatis-Unfallstatistik des Statistischen Bundesamtes starb 2019 alle 21 Stunden ein Fußgänger im Straßenverkehr. Ist das Schicksal oder lässt sich dagegen etwas unternehmen?
Auf eigene Sichtbarkeit achten
Zu einem gewissen Grad haben es Fußgänger selbst in der Hand, wie sicher sie bei Dunkelheit unterwegs sind. Wer bei schlechten Licht- und Sichtverhältnissen dunkle Kleidung trägt, wird später wahrgenommen und zwar erst dann, wenn ihn das Scheinwerferlicht der Autos erfasst. Und das sind rund 25 Meter. Aus diesem Grund empfiehlt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR), helle Kleidung zu tragen.
Bei Dunkelheit deutlich besser sichtbar ist, wer helle oder retroreflektierende oder fluoreszierende Kleidung trägt. Retroreflektierendes Material, das in Mantel, Jacke, Mütze oder Rucksack eingearbeitet ist, wirft das Licht in die Richtung zurück, aus der es kommt. Auch Reflektorbänder, an Armen oder Beinen getragen, sorgen für bessere Sichtbarkeit bei Dunkelheit.
Auf Nummer sicher gehen
Gut beraten ist auch, wer sich nicht auf die Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer verlässt und schlecht einsehbare Stellen meidet. Statt aus Lücken zwischen parkenden Autos heraus zu versuchen, die Straße zu überqueren, ist es wesentlich sicherer, dafür Ampeln, Fußgängerüberwege und Zebrastreifen zu nutzen. Auch Blickkontakt mit den anderen Verkehrsteilnehmern und Handzeichen sind hilfreich, um gut rüber zu kommen.
Ablenkung vermeiden
Wer zu Fuß unterwegs ist und per Headset telefoniert, hat zwar die Hände frei, ist aber trotzdem abgelenkt. Eine eigene Fußgängerspezies sind die sogenannten Smombies (Smartphone-Zombies). Getrieben von der permanenten Angst, etwas zu verpassen, starren sie auch im Gehen auf ihr Gerät. Dabei sind sie erwiesenermaßen einer ganz anderen Gefahr ausgesetzt: einem höheren Unfallrisiko. Dass wir Menschen nur begrenzt multitaskingfähig sind, weiß vermutlich jeder aus eigener Erfahrung. Im Straßenverkehr kann das allerdings zu einer echten Gefahr werden.
Was kann die Unfallforschung beitragen?
Fußgängerunfälle bleiben das Stiefkind in den Gremien der Unfallforschung. Dieses Fazit zieht das Transportation Research Board (TRB). Das Hauptproblem wird darin gesehen, dass Fußgänger gemeinsam mit Rad- und Motorradfahrern in einen Topf geworfen werden. Sie alle zählen zur Gruppe der besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmer.
Wird das Augenmerk jedoch stärker auf alle spezifischen Faktoren von Unfällen mit Fußgängern gelegt, lassen sich auch gezielter Maßnahmen entwickeln, um Unfallhäufigkeit und -schwere zu mindern. Denn das Unfallgeschehen jeder dieser drei Gruppen hat seine Besonderheiten. So kann eine Einzelbetrachtung auch dem ambitionierten Ziel der Vision Zero neue Impulse geben: auch im Straßenverkehr die Zahl der Unfälle auf Null zu senken.
Neue Unfallmuster erkennen
Die Arbeit der Unfallforschung der Versicherer (UDV) geht genau in diese Richtung. Sie analysierte einen repräsentativen Ausschnitt aller Haftpflichtschäden aus den Jahren 2002 bis 2012, die in der Unfalldatenbank der Deutschen Versicherer gespeichert sind.
Die in diesem Datenpool enthaltenen 390 Pkw-Fußgänger-Unfälle belegten einerseits, dass mit einem Anteil von 59 Prozent Frontalkollisionen ein häufiges Unfallmuster sind. Dieses wird bei der Fahrzeugentwicklung, etwa in der Gestaltung der Frontpartie, bereits seit Jahren berücksichtigt. Es zeigten sich aber auch andere Unfallmuster, die sich mittels verfügbarer Technik entschärfen ließen: Kollisionen beim Rückwärtsfahren.
Risiken identifizieren
Zwar handelt es sich nur in 17 Prozent aller Pkw-Fußgänger-Unfälle um Unfälle beim Rückwärtsfahren. In 63 Prozent der Fälle waren die beteiligten Fußgänger jedoch 69 Jahre und älter. Der Anteil der dabei Schwerverletzten betrug mit 35 Prozent kaum weniger als bei Unfällen mit Frontalkollision (44 Prozent).
Eine Betrachtung der Zahl der Schwerverletzten nach Altersgruppen zeigte ebenfalls eine Auffälligkeit: Bei Heckkollisionen waren 86 Prozent der Schwerverletzten 70 Jahre und älter. Bei den Schwerverletzten durch Frontkollision betrug der Anteil der über 70 Jährigen nur 28 Prozent. Eine plausible Erklärung für diese Auffälligkeit dürfte das hohe Alter und die damit einhergehende höhere Verletzlichkeit der Unfallopfer sein. Es zeigt sich also: Rückwärtsfahrende Pkw stellen vor allem für ältere Fußgänger ein fatales Risiko dar.
Lösungen finden
Im vorliegenden Fall ist bereits alles vorhanden. Es muss nur sinnvoll verknüpft werden: Systeme zur Fußgängerfrüherkennung, ein Bremsassistent fürs Rückwärtsfahren oder auch eine geringere Mischung der Verkehre können dazu beitragen, das Unfallrisiko zu verringern.
Der Wunsch, Vision Zero Wirklichkeit werden zu lassen, steht und fällt also mit der Bereitschaft und Fähigkeit, Risiken zu erkennen, zu verstehen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie sich dabei zeigt, können manchmal ganz einfache Dinge fatale Folgen vermeiden helfen: langsames, kontrolliertes Rückwärtsfahren zum Beispiel.
Foto: vbaleha